IDAs – Identitätsstiftende Ausgedinghäuser
Wohnarchitektur als Bindeglied in der dörflichen Transformation
Das Projekt IDAs – identitätsstiftende Ausgedinghäuser – schafft in Betzenweiler (Oberschwaben) ein architektonisch und sozial wegweisendes Modell für das Wohnen der Zukunft auf dem Land. Christine Reck Architekten GmbH BDA reagierten mit einem Ensemble von fünf Wohnhäusern und insgesamt neun flexiblen Wohneinheiten auf die strukturellen und demografischen Veränderungen, wie sie in vielen Dörfern Deutschlands zu beobachten sind.
Kontext und Herausforderung
In ländlichen Gemeinden treffen zunehmend widersprüchliche Wohnbedarfe aufeinander: Großzügige Einfamilienhäuser stehen mit geringer Belegung leer, während die Nachfolgegeneration adäquaten Wohnraum im Dorf vergeblich sucht. Gleichzeitig fehlen Angebote für temporäres, flexibles Wohnen – etwa in Übergangsphasen des Lebens oder im Alter, wenn ein Verbleib im eigenen Haus nicht mehr möglich oder gewünscht ist.
IDAs schließt diese doppelte Lücke – räumlich wie sozial. An Stelle eines Einfamilienhauses aus den 1960er Jahren mit Werkstatt entstand ein kompakter Neubaucluster, der nicht nur Fläche effizient nutzt, sondern auch vielfältige Wohnformen ermöglicht: für Einzelpersonen, Paare oder kleine Haushalte in unterschiedlichen Lebensphasen.
Typologische Referenz und Transformation
Der Begriff „Ausgedinghaus“ verweist auf ein traditionelles dörfliches Wohnmodell: das separate Wohngebäude für Altbauern nach der Hofübergabe. IDAs transformiert dieses Prinzip in eine zeitgemäße Wohnarchitektur, die Selbstständigkeit, Rückzug und Gemeinschaft gleichberechtigt ermöglicht. Jede Einheit verfügt über eine eigene Haustür, einen privaten Außenbereich sowie eine Sitzbank zum gemeinschaftlich nutzbaren Hof. Das „Zimmer im Freien“ ist als geschützter, privater Außenraum konzipiert und erweitert den Innenraum in den Außenbereich. Es schafft einen qualitätsvollen Aufenthaltsort mit direktem Wohnungsbezug und ermöglicht Rückzug im Freien.
Raumprogramm und Gestaltung
Die neun Wohneinheiten verteilen sich auf fünf eigenständige Baukörper, die jeweils als separate, klar ablesbare Einheiten gestaltet sind. Besonderes Augenmerk gilt der Barrierefreiheit: Sämtliche Erdgeschosswohnungen sind ohne Hindernisse zugänglich und schaffen so Wohnraum, der für Menschen jeden Alters und mit unterschiedlichen Mobilitätsanforderungen geeignet ist. Diese architektonische Anordnung ermöglicht einerseits individuelle Rückzugsräume, andererseits fördert sie durch die Nähe der Häuser eine nachbarschaftliche Gemeinschaft. Die Wohnungen bieten nicht nur einen niederschwelligen Zugang für ältere Menschen, sondern auch ein Angebot für junge Erwachsene, temporäre Nutzer oder Rückkehrer ins Dorf. Gemeinschaftsflächen wie der Innenhof fungieren als soziale Katalysatoren, ohne verpflichtenden Charakter.
Die architektonische Sprache ist zurückgenommen, robust und langlebig. Außenwände aus homogenen Porenbetonsteinen, massive Decken mit hoher thermischer Speicherfähigkeit, Faserzementwellplatten als Fassadenmaterial sowie Linoleumböden und unbehandelte Sichtbetontreppen zeugen von einer bewussten Materialwahl, die einen geringen Pflegeaufwand und Wiederverwertbarkeit vereint. Extensive Dachbegrünung unterstützt die Wasserretention und verbessert den sommerlichen Wärmeschutz; Photovoltaikanlagen versorgen die Gebäude mit regenerativer Energie.
Nachhaltigkeit als Planungsprinzip
Der ökologische Anspruch ist integraler Bestandteil der architektonischen Haltung: Verdichtetes Bauen im Bestand statt neuer Flächenverbrauch, Versickerung des Niederschlagswassers vor Ort, naturnahe Freiraumgestaltung sowie ein Höchstmaß an Eigenversorgung durch Sonnenstrom sind keine Add-ons, sondern konstitutive Elemente der Projektidee.
IDAs ist keine Typologie im klassischen Sinne, sondern ein transformierbares Modell für dörfliches Wohnen – identitätsstiftend, gemeinschaftsfördernd, nachhaltig. Es reagiert nicht nur auf heutige Bedarfe, sondern bietet räumliche Antworten für eine Zukunft des Wohnens, in der Individualität, soziale Nähe und ökologische Verantwortung kein Widerspruch sein müssen.
zum Video
https://www.dropbox.com/scl/fi/s29pgd5abcfk8eai02ph3/IDAs-L-cken-schlie-en.mp4?rlkey=gp06rkc046qk45xz8dqox11o4&st=xka2muus&dl=0